Wer Kleidung selbst näht, von dieser Kleidung einen guten Sitz erwartet und nicht ganz zufällig exakt mit den Maßtabellen der Schnitthersteller übereinstimmt, der wird irgendwann Anpassungen machen müssen. Und es sei auch mal erwähnt, dass das gar nicht so leicht ist. Dabei meine ich nicht die Anpassung selbst, sondern sich überhaupt damit zu beschäftigen, wo am eigenen Körper die Ungereimtheiten liegen, wo man selbst vom "Standard" abweicht. Ist die Brust zu groß? Ist das Gesäß flach? Ist die Schulter abfallend? Sind die Beine kurz?
Falls ihr euch mit Anpassungen beschäftigen wollt oder sogar schon mitten drin seid, hier der wichtige Hinweis: Die Beine sind nicht zu kurz, sondern nur ein bisschen kürzer als in diesem Schnittmuster vorgesehen und das Gesäß ist auch nicht zu flach, sondern nur weniger üppig als die Jeans geschnitten ist. Die Brust ist nicht zu groß, sondern sie braucht einfach nur etwas mehr Platz. Es gibt keinen Standard und es gibt übrigens auch keine völlig faltenfreie Kleidung, wenn ihr euch ab und zu mal bewegen wollt! Mode und Kleidung sind auch Ausdruck und nicht selten emotional behaftet, aber bei Schnittanpassungen geht es um sachliche Zahlen, um Maße, um Fakten; das kann anstrengend sein. Seid nicht streng zu euch oder eurem Körper, gönnt euch zwischendurch auch mal eine Pause und einen nüchternen Blick - das wird sich lohnen!
Nun aber zu meiner Hose für Heiligabend, denn ich habe ein Probeteil genäht.. okay, ich habe drei Probeteile genäht und diverse Male verändert. Aber eins nach dem anderen. Zunächst habe ich mir nochmal angeschaut, wie eine Hose eigentlich aufgebaut ist, denn ich finde das bei einer Hose gar nicht mal so selbsterklärend.
Eine Hose besteht klassischerweise aus einer Vorder- und einer Hinterhose. Die Länge an der Seitennaht und die Höhe des Bundes, wenn er vorhanden ist, entsprechen der Hosenlänge. Die Sitz- oder Leibhöhe ist die Länge von Bund zum Schritt; sie wird am Körper in aller Regel im Sitzen gemessen. Die Länge vom Schritt zum Saum ist die Innenbeinlänge.
Die Hüftlinie beschreibt zumeist die weiteste Stelle der Hose, denn dort ist unser Körper in der Regel auch am weitesten, wobei sich das etwas verschieben kann, wenn man ein ausgeprägtes Gesäß oder einen ausgeprägten Bauch hat. Die Hüftlinie ist in der Hinterhose etwas geneigt, weil die Strecke zwischen Schritt und Hüfte weiter ist als im Vorderteil oder an den Seitennähten. Die Schrittlinie liegt auf der Höhe, wo der Schritt der Hose liegt, also sich die Innenbeinnähte und die Schrittkurve oder Schhrittnaht, die von der vorderen Mitte durch den Schritt zur hinteren Mitte verläuft, treffen. Die Schrittkurve ist am Vorderteil viel weniger ausgeprägt und kürzer, weil wir Frauen vorn weniger Länge im Schritt brauchen als hinten am Gesäß; ebenso ist die Vorderhose etwas schmaler als die Hinterhose.
Ich habe das Schnittmuster zunächst unverändert in der Größe genäht, die meinem Hüftmaß entsprach.
Achtung: Simplicity hat - wie übrigens auch Vogue, Butterick und McCalls - oft recht großzügige Bequemlichkeitsweiten, achtet daher immer auf die Fertigmaße. Die Fertigmaße findet ihr auf dem Schnittmusterbogen an Brust, Taille und Hüfte.
Meine Probehose hatte vor allem zwei Probleme, nämlich in der Taille war sie zu weit und hinten zog sich der Stoff in das Gesäß - wenig charmant nennt man das "Arsch frisst Hose".
Beide Probleme habe ich erwartet, denn es sind genau die gleichen Probleme, die ich auch bei Kaufhosen regelmäßig habe.
Das Problem in der Taille habe ich pragmatisch gelöst und ab der Hüfte zur Taille einfach in beiden Seitennähten 2cm weggenommen, also die Taillenweite insgesamt um 8cm verringert; die Bundfalte vorn und die Abnäher hinten habe ich anschließend etwas verschoben, damit die Proprtionen gleich bleiben. Im weiteren Verlauf habe ich auch in der hinteren Mitte nochmal 4cm weggenommen.
Das Problem hinten ist ganz offensichtlich eine zu kurze Schrittnaht. Um die fehlende Länge hinzuzufügen habe ich zunächst im Schritt, also dort wo sich die vordere und hintere Mittelnaht und die Innenbeinnähte treffen, an der Hinterhose 2cm hinzugefügt. Außerdem habe ich ungefähr auf Höhe der Hüftlinie das Schnittmuster bis zur Seite eingeschnitten und dann um 2cm aufgeklappt.
Das Ergebnis war allerdings nur mäßig befriedigend. Zwar waren die Falten am Gesäß etwas weniger geworden, aber sie waren noch nicht weg. Außerdem waren plötzlich unterhalb des Gesäß noch andere Falten. Ich hatte durch das Aufklappen eben nicht nur die hintere Mitte verlängert, sondern bis zur Seitennaht Länge hinzugefügt und diese Länge stauchte nun; man kann getrost von verschlimmbessern sprechen.
Immerhin hatte ich bei meinem zweiten Probeteil aber schon Taschen hinzugefügt und die sehen gut aus - auf Anraten von
Regina und
Tina werde ich die Taschen aber noch bis zur vorderen Mitte ziehen. Der Vorteil von Taschen, die über das gesamte Vorderteil gehen und im Bund mitgefasst werden, ist zusätzliche Stabilität, denn die Taschenbeutel liegen dann immer glatt und die Tascheneingriffe sperren nicht auf, außerdem springt die Bundfalte nicht so abrupt auf.
Aber wie nun das Problem mit der hinteren Passform lösen? Ich habe eine zu kurze Schrittnaht, also muss ich diese verlängern ohne dass ich zusätzliche Länge in die Hinterhose bringe. Ich habe mir nochmal das Schnittmuster angeschaut und wenn man die Vorder- und Hinterhose dort aneinanderlegt, wo sie sich treffen, dann kann man gut sehen wie die Schrittnaht verläuft und welche Körperform wohl berücksichtigt wurde
(links).
Meine eigene Körperform entspricht dem aber nicht. Ich habe eine leicht nach vorn geneigte Taille und ein ausgeprägtes und eher tiefliegendes Gesäß
(rechts).
Ich brauche also viel mehr Länge in der hinteren Schrittnaht und auch mehr Tiefe, damit mein Gesäß vernünftig reinpasst.
Um das zu erreichen habe ich wieder die 2cm Länge direkt im Schritt zugegeben. Außerdem habe ich die ganze Schrittkurve deutlich länger auf der Schrittlinie laufen lassen und mit mehr Schwung nach oben geführt. Man kann direkt sehen, dass die rote Naht durch ihren Verlauf deutlich länger ist als die schwarze.
Wenn die Hose schmal sitzt, dann müsste man hier die Weite an der Seitennaht zugeben, damit die Hose nicht insgesamt zu eng wird. Das habe ich zunächst auch gemacht, aber das war letztlich nicht nötig, die Hinterhose war insgesamt weit genug.
Nach dieser Anpassung tauchte noch ein weiteres Problem auf, das ich bei Kaufhosen ebenfalls oft habe, denn nachdem die hintere Schrittnaht sich entspannt hatte und auch nicht mehr die vordere Schrittnaht nach unten zog, sah man, dass die Leibhöhe zu lang war und die Hose vorn im Schritt staucht. Also habe ich die Leibhöhe vorn und hinten ein wenig verringert.
Übrigens weiß ich auch meistens nicht, wie viel Länge mehr ich genau brauche oder wie tief ich den Schritt ziehen muss oder Ähnliches. Manchmal stecke ich am Probeteil ab, reiße auch mal einen Schlitz in das Probeteil um zu schauen, wie weit der Stoff aufklafft, oder ich schätze entweder oder versuche es halt einfach mal mit einem oder zwei Zentimeter, anhand des Unterschiedes kann man dann weitermachen und entweder noch mehr zugeben oder wieder etwas wegnehmen. Anpassungen haben - gerade wenn man nicht gelernt ist oder fachkundige Unterstützung hat - viel Versuch und Irrtum, aber dafür sind Probeteile ja da!
Und hier nun also die letzte Version meines Probeteils.
Die Querfalten oben am Bund resultieren aus einer immernoch etwas zu hohen Leibhöhe, aber dort kommen ja die 1,5cm für den Bund noch weg, daher habe ich nicht weiter gekürzt. Ganz leicht sieht man ein paar Falten, die sich zum Bauch ziehen. Man könnte durch Aufschneiden und aufklappen von der vorderen Mitte zur Seitennaht (wie oben gezeigt) etwas mehr Länge erzeugen, die ein ausgeprägter Bauch im Gegensatz zu einem flachen Bauch braucht, aber ich fand die Falten so unauffällig, das ich darauf verzichtet habe. Einen Bauch sollte man meines Erachtens nicht zu sehr ausformen, sonst wird er noch auffälliger. Außerdem verspreche ich mir vom Futter der Vorderhose einen besseren Fall als bei dem stumpfen Bomull. Die vordere Bügelfalte fällt gerade - ich hoffe, dass man die Striche auf dem Foto erkennen kann.
Auch die Seitennaht ist lotrecht. Die leichte Beule auf Hüfthöhe resultierte aus der Mehrweite, die ich zunächst eingeplant, aber inzwischen wieder rausgenommen habe.
Hinten sieht man, dass die Hose noch ein bisschen ins Gesäß zieht, außerdem ist die Bügelfalte nicht ganz gerade. Ich habe daher auf meinem Schnittmuster noch ein bisschen mehr Schwung eingezeichnet, aber vor allem habe ich bei der Probehose die Hinterhose nicht vorab in Form gebügelt. An der Hinterhose wird die Innenbeinnaht ungefähr 10cm vor dem Schritt auf 12cm Länge gedehnt; diese 2cm fehlen in dem Probeteil, daher zieht die Innenbeinnaht dort etwas nach oben und bringt auch die Bügelfalte aus dem Gleichgewicht. Ordentlich in Form gebügelt, dürften sich beide Probleme erledigt haben.
Puh, das waren ziemlich viele Erläuterungen und ich gratuliere allen, die bis hierhin durchgehalten haben. Vielleicht nutzen diese Ausführungen ja der ein oder anderen bei eigenen Anpassungen - ich hoffe, die Ausführungen waren verständlich, ansonsten sagt bitte Bescheid. Auch über Hinweise oder Verbesserungen freue ich mich.
Ich bin jetzt jedenfalls soweit zufrieden mit der Passform und dem Tragegefühl, dass ich mit diesem Modell nun ins Rennen gehe und meinen Wollstoff zuschneiden werde. Und dann sehen wir uns hoffentlich unter'm Weihnachtsbaum beim
MeMadeMittwoch mit einer gut passenden Hose!